Dying Beauties

Auszug aus meinem Gastbeitrag auf Kwerfeldein im Jahr 2014

Zur „Blümchenknipserei“ bin ich – wie die meisten anderen Fotografen wohl auch – gekommen, indem ich Motive in meiner unmittelbaren Umgebung gesucht habe. Als frischgebackener Familienvater hatte ich nicht immer die Möglichkeit, meine Fotosachen zu packen, um „mal kurz“ fotografieren zu gehen, sondern musste oft die Pausen nutzen, in denen die Kinder geschlafen haben.

Da meine Frau unser Zuhause gern mit Blumen schmückt, waren die Motive schnell gefunden. Also kaufte ich mir sehr bald ein Makro-Objektiv und merkte, dass durch die Nähe zum Objekt eine für mich bis dahin unbekannte Intimität zu den Motiven entstand. Ich stieß auf Details, die mich die Pflanzen haben anders sehen lassen. Ich begann, „Eigenschaften“ einzelner Blüten zu entdecken – keine glich der anderen.

Amaryllis

Also fing ich an, ihre Unterschiede zu studieren und erkannte sehr bald, dass es vor allem die „Fehler“ waren, die die Blüten einzigartig machten. Das waren Bruchstellen, Blütenstaubkrümel, Insektenspuren, aber auch verwelkte Stellen. Jeder dieser „Fehler“ ließ die Blüte zum Individuum werden, jede Pflanze hatte ihre ganz eigene „persönliche“ Seite und ich begann, sie zunehmend als Persönlichkeiten zu betrachten.

Sehr schnell fand ich darüber hinaus, dass der Verwelkungsprozess jeder Blume ganz unterschiedlich verläuft. Deshalb fing ich an, mich besonders für die verblühten Pflanzen zu interessieren. Auf ihnen bildeten sich bemerkenswerte Strukturen und ihre Straffheit und ihr Stehvermögen veränderten sich, die Haltung der Pflanze und damit ihre gesamte Wirkung wandelten sich massiv.

Exhausted

Ich konnte beobachten, wie nach der „Blütezeit“ der Jugend eine neue Ästhetik die frische Schönheit immer mehr ablöste. Andere, neue Merkmale traten zutage: Stolz, Eleganz, Lebensfreude, Frohsinn – aber ebenso Demut, Trauer, Bescheidenheit, Melancholie, Verletzlichkeit. So hatte ich die metaphorische Kraft der Serie bald erkannt und versuche seitdem, menschliche Züge in den Pflanzen zu erkennen und wiederzugeben.

Mich interessieren vor allem die Parallelen zum Menschen, wenn nach dem Verblassen der jugendlichen Schönheit das Neue sichtbar wird. Jeder Einzelne geht mit den Veränderungen an seinem Körper anders um. Einige versuchen, diese Veränderung möglichst lange hinauszuzögern, während andere den Verlust der körperlichen Jugend rasch akzeptieren. Und wenn die frühere Schönheit auch noch das Kapital für Anerkennung und Erfolg war, so ist ihr Verlust umso schmerzvoller und schwieriger.

So hat sich letztendlich das eigentliche Thema der Serie entwickelt. Die Fragen, die sich in der Serie stellen sind: Welche persönlichen Umgangsformen gibt es mit der Vergänglichkeit? Wie nehmen wir Menschen die körperliche Endlichkeit und den Tod wahr und wie nehmen wir beides an? Halten wir an Vergangenem fest? Entdecken wir in uns Neues? Oder beides? Welchen inneren Kampf führen wir? Haben wir Ängste, wenn wir „nicht mehr schön“ sind? Haben wir Angst vor der „Entsorgung“?

Die Antworten auf diese Fragen sind vielfältig, individuell und sehr persönlich. Eine gibt uns beispielsweise die Amaryllis, die mit ihren kraftstrotzenden Fruchtknoten noch ihre Vitalität demonstriert, während die Tulpe in „Exhausted“ mit dem Abfinden des nahenden Endes uns eine konträre Antwort gibt. Und das tun wir Menschen auch.

Ich wähle die Blumen erst dann aus, wenn sie bereits verblüht sind. Dann weiß ich, wie sie sich entwickelt haben. Es lässt sich nicht erahnen, an welcher Stelle die Blumen wie stark verwelken. Ich beobachte die Pflanzen ab dem Augenblick, in dem sie ins Haus kommen und erfreue mich oft ein zweites Mal an ihnen, wenn sie anfangen, sich zu verändern.

Aber manchmal entdecke ich sie auch beim Spazierengehen oder mir fällt ein verwelkter Geburtstagsblumenstrauß auf dem Tisch eines Arbeitskollegen auf. Bisher habe ich nur ein einziges Mal eine Callas mit der Absicht gekauft, sie am Ende auch zu fotografieren. Aus Respekt vor den Lebewesen würde ich niemals eine Pflanze absichtlich verwelken lassen. Das passiert mir leider oft genug ungewollt.

Mich haben Robert Mapplethorpes Blumenbilder schon früh beeinflusst. Seine Lichtsetzung und seine Linienführung waren für mich immer so verblüffend einfach und dabei so wirkungsvoll. Also versuche ich, ähnlich wie Mapplethorpe, die Dynamik des Bildes über die Linienführung zu gestalten und die Stimmung über das Licht zu beeinflussen.

Ein zweiter Fotograf, der mich ebenfalls geprägt hat, war Karl Blossfeldt. Die Klarheit seiner Pflanzenbilder, die er durch seine strenge und formale Bildsprache erzielte, finde ich heute noch phänomenal. Durch eine deutliche Reduktion und das Lösen der Pflanze aus ihrer natürlichen oder gewohnten Umgebung kann auch ich die Essenz besser erkennen und eine klare Aussage machen.

[...]

Ich arbeite ständig an der Serie, doch immer wieder mit Pausen, vor allem dann, wenn ich merke, dass ich mich wiederhole. Anfänglich habe ich in der Serie „nur“ die sogenannte „innere“ Schönheit der Blumen wiedergeben wollen.

Dann begann ich auch den Umgang mit dem eigenen, menschlichen Altern zu behandeln. Da dieses Thema unerschöpflich ist, bin ich überzeugt, dass ich wieder neue Aspekte finden und die Serie deshalb noch lange fortführen werde.